Im Berliner Südosten boomt der Technologiepark Adlershof, in Cottbus will der Lausitz Science Park eine ähnliche Erfolgsgeschichte schreiben. Zwischen diesen beiden Innovationszentren soll eine Wachstumsregion rund um das Thema Energiewendelösungen entstehen.
Noch ruht er still – der Cottbuser Ostsee, ein künftiger Freizeit- und Erholungsort am Stadtrand von Cottbus. Bis zum Jahr 2030 wird sich hier ein ehemaliger Braunkohletagebau zu dem mit 1.900 Hektar Fläche größten künstlichen See Deutschlands wandeln. Wer schon heute den Blick über den teilgefluteten See streifen lässt, erblickt am Horizont das Kraftwerk Jänschwalde des ehemaligen Braunkohlekonzerns LEAG. Dieser sieht seine eigene Zukunft und die des Standorts Jänschwalde nach dem Ausstieg aus der Braunkohle in der Produktion von Strom und Wasserstoff aus erneuerbaren Energien.
Der Ostsee und Jänschwalde – nur zwei Beispiele für den wirtschaftlichen Wandel rund um Cottbus, dem Zentrum der brandenburgischen Lausitz. Was liegt da näher, als den wirtschaftlichen Boom des Berliner Südostens und die Erneuerung der Energieregion Lausitz gemeinsam zu denken und Wirtschaft, Forschung und Verkehr strategisch miteinander zu verzahnen?
Dieser Gedanke ist ein wesentlicher Treiber des geplanten Innovationskorridors zwischen der Lausitz und Berlin. Ein Projekt, das politisch sowohl von Berliner als auch Brandenburger Seite unterstützt wird. Auf der Berliner Seite liegt das Projekt in den Händen der WISTA Management GmbH, der Betreibergesellschaft des Technologieparks Adlershof, auf Brandenburger Seite bei der Wirtschaftsregion Lausitz GmbH (WRL). Letztere ist für den brandenburgischen Teil der Lausitz mit der Organisation und Steuerung des Strukturwandelprozesses beauftragt. Der Innovationskorridor Berlin-Lausitz fungiert dabei als Pilotprojekt. Auf ähnliche Weise, so die Hoffnung, lassen sich später einmal weitere Brandenburger Standorte mit der Hauptstadt verknüpfen.
Roland Sillmann, Geschäftsführer WISTA GmbH. Quelle WISTA GmbH
Roland Sillmann, Geschäftsführer der WISTA Management GmbH, sieht im Innovationskorridor eine Chance, die Potenziale des Technologieparks Adlershof konsequent nutzen zu können. „ Wir können noch weiter wachsen“, weiß Sillmann, „ein Nadelöhr ist jedoch die Verkehrssituation rund um Adlershof.“ Eine Statistik belegt, dass beispielsweise acht Prozent der Mitarbeitenden in Adlershof aus dem brandenburgischen Landkreis Dahme-Spreewald zur Arbeit kommen, diese stellen aber 25 Prozent der Beschäftigten, die mit dem Auto anreisen. Auch deshalb ist für die Adlershofer die Entwicklung des Umlands und insbesondere der Bahnverbindung zwischen Cottbus und Berlin in den Fokus gerückt.
Führender Innovationsstandort in Europa
Der Grundgedanke: Entlang der Bahnstrecke soll ein Innovationskorridor mit dem Technologiepark in Adlershof und dem geplanten Lausitz Science Park in Cottbus als Fixpunkte entstehen. Dazwischen sollen sich Unternehmen ansiedeln, Coworking Spaces aufgebaut und Wohnraum geschaffen werden. „Adlershof ist der größte Technologiepark Deutschlands. Der Lausitz Science Park könnte perspektivisch die Nummer Zwei oder Drei werden“, prophezeit Sillmann. Gemeinsam habe die Region das Potenzial, zu einem der führenden Innovationsstandorte in Europa aufzusteigen. Dabei wird ganz bewußt nicht von einer Achse gesprochen, die die beiden Technologieparks dereinst verbinden soll. Der Begriff Korridor passe besser, erläutert der WISTA-Chef, weil der gesamte Raum entlang der Bahnlinie zwischen Berlin und Cottbus in die Planung einbezogen wird.
Bei der Planung herrscht Aufgabenteilung: Die Berliner werden vor allem die Ansiedlung von Unternehmen entlang des Korridors ins Visier nehmen, die Wirtschaftsregion Lausitz GmbH engagiert sich bei den Themen Infrastruktur sowie Wohnen und Leben. Potenzielle Großinvestitionen werden gemeinsam angegangen.
Im Gegensatz zu anderen Metropolen wie London oder Paris, die historisch gewachsen sind und dabei auch soziale Brennpunkte wie etwa die Banlieus rund um die französische Hauptstadt hervorgebracht haben, besitzt Berlin aufgrund seiner Historie während der Deutschen Teilung die Chance, strategisch geplant ins Umland zu wachsen. „Der Innovationskorridor ist aber eine dauerhafte Aufgabe“, betont WISTA-Chef Sillmann, „kein Projekt, das in zehn Jahren abgeschlossen sein wird.“
Konzentration auf Energiewendelösungen
Eine wichtige Entscheidung ist aber bereits gefallen: „Innovationsorte brauchen eine klare Profilierung“, weiß Roland Sillmann, „dann wachsen sie schneller und genießen eine höhere Glaubwürdigkeit.“ Im Falle des Innovationskorridors Berlin-Lausitz setzen die Macher auf das Thema Energiewendelösungen. Andere Profile wie etwa die Gesundheitswirtschaft mit der künftigen Universitätsmedizin in Cottbus standen ebenfalls zur Debatte, wurden aber verworfen, weil sich hierfür auch andere Standorte in der Hauptstadtregion eignen. „Energiewendelösungen sind ein idealer Fokus, weil er zur Geschichte der Lausitz als Energieregion und zum Selbstverständnis und den Kompetenzen der Menschen passt“, erklärt der WISTA-Chef.
Hinter dem Schlagwort Energiewendelösungen verbirgt sich die gesamte Wertschöpfungskette von der Forschung bis zur Produktion mit den Bereichen Energieerzeugung, Speichertechnologien und intelligentes Netzmanagement, aber auch Carbon Capture and Storage, also das Abscheiden und Speichern von Kohlendioxid, darüber hinaus die Wasserstoffwirtschaft und die Mobilität mit energieeffizienten Antrieben. Vieles davon treiben Forscher und Unternehmen in Adlershof bereits jetzt voran, ebenso die Brandenburgische Technische Universität in Cottbus, die führend ist bei Mobilitätsthemen und Energietechnik.
Heiko Jahn, Geschäftsführer der Wirtschaftsregion Lausitz GmbH. Quelle Clemens Schiesko/WRL
Auf Brandenburger Seite liegt das Projekt auf dem Schreibtisch von Heiko Jahn, Geschäftsführer der Wirtschaftsregion Lausitz GmbH. Er erhofft sich von dem Projekt einen innovativen Schub für die Lausitz. Jahn hat nicht nur die Strukturentwicklung entlang der Berlin-Görlitzer Bahn, sondern die gesamte Lausitz im Blick. „Der Innovationskorridor heißt bewußt Berlin-Lausitz“, sagt Jahn, „es endet nicht in Cottbus.“ Allerdings sieht Jahn im künftigen Lausitz Science Park ebenfalls einen Dreh-und Angelpunkt. Noch steht der Technologiepark erst in den Startlöchern und wird auch mit Hilfe der Expertise aus Adlershof Zug um Zug entwickelt. Vier Profillinien sollen ihn kennzeichnen: „Energiewende und Dekarbonisierung”, „Gesundheit und Life Sciences”, „Globaler Wandel und Transformationsprozesse” sowie „Künstliche Intelligenz und Sensorik“.
Gegenwärtig laufen dort die Erschließungsmaßnahmen. Als erste Nutzer werden Institute des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt Einzug halten. Allen voran CHESCO, das Center for Hybrid Electric Systems Cottbus – ein Zentrum zur Erforschung hybrid-elektrischer und elektrischer Systeme für den Mobilitätssektor, zunächst im Bereich der Luftfahrt, später für andere Mobilitätsbranchen wie Automobil, Bahn und Schifffahrt. Bis 2027 sollen dafür drei Hallen errichtet werden, u.a. eine für die Tests von Prototypen neuartiger Flugzeugantriebe. Eine energieintensive Produktion sei im Lausitz Science Park aber nicht geplant, betont Jahn, für solche Ansiedlungen stehe dann der Industriepark Schwarze Pumpe zur Verfügung.
Rückhalt in den Kommunen
In den brandenburgischen Kommunen entlang der Bahnlinie findet die Idee breite Zustimmung. Sie haben bereits Daten über freie Gewerbeflächen und Wohnkapazitäten für die Vermarktung aufbereitet. „Von den Kommunen haben wir ein gutes Feedback“, bestätigt Heiko Jahn. Das erste konkrete Projekt ist der Aufbau eines Coworking Space in Lübbenau. 120 Arbeitsplätze sollen dort eingerichtet werden, damit etwa Adlershofer Beschäftigte, die in der Region leben, wohnortnah arbeiten können und die Verkehre nach Berlin entlastet werden. So können Firmen und Einrichtungen in Adlershof ihren Mitarbeitern alternative Arbeitsoptionen aufzeigen, ein wichtiges Argument im Kampf um Fachkräfte. Gleichzeitig sollen aber die Nachteile des Home Office umgangen werden. „Im Coworking Space werden Mitarbeiter mit anderen Kollegen aus dem eigenen oder fremden Unternehmen zusammenkommen.“ Das fördere, so Roland Sillmann, Kreativität und Innovation.
Heiko Jahn stellt den Innovationskorridor in eine regionalpolitische Perspektive: „Bis 2038 haben wir Zeit, die Lausitz neu aufzustellen“, sagt Jahn. Die Strukturmittel aus dem Kohlekompromiss hätten die anfangs kontroversen Diskussionen über das Ende des Kohlezeitalters in der Lausitz befriedet. Auch der Braunkohlekonzern LEAG, unverzichtbarer Lausitzer Arbeit- und Auftraggeber, wandele sich mit Nachdruck zum nachhaltigen Energiekonzern. Das neue Bahnwerk in Cottbus sei zeitnah in Betrieb gegangen. Das alles habe die Zustimmung zu Projekten wie den Innovationskorridor beflügelt.
Auch wenn bis 2038 noch einige Jahre ins Land gehen, beim Thema Infrastruktur würde Jahn hingegen gern aufs Tempo drücken. „Die Infrastruktur beim Schienenverkehr ist noch nicht zufriedenstellend“, sagt er. Immerhin, der politische Wille, dies zu ändern, ist erkennbar. Zwischen Cottbus und Lübbenau wird ein zweites Bahngleis gebaut. Ab 2027 sollen Züge zwischen Berlin und Cottbus dann im 30-Minuten-Takt fahren. „Der Halbstunden-Takt ist ganz wichtig für uns“, stellt Jahn klar. Denn ohne eine zügige Verbindung zwischen der Hauptstadt und der Lausitz wird der Innovationskorridor nicht in Gang kommen.
Imagewerbung für den Strukturwandel. Quelle: Matthias Salm
Der Beitrag Innovationskorridor Berlin-Lausitz – Lösungen für die Energiewende erschien zuerst auf Wirtschaft und Markt.